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Drei Sorgen bezüglich des christlich-jüdischen Gesprächs

Unser Erschrecken über die christliche Mitschuld am Holocaust stand am Anfang des christlich-jüdischen Gesprächs. Darin findet er seine Begründung, von daher wird er existenziell und emotional geführt.

Heinz Kremers schreibt: „Die meisten Christen unter uns dürften wie ich das Gespräch mit Juden unter dem erschütternden Eindruck christlicher Mitschuld am Holocaust gesucht haben, voller Scham und Entsetzen, angetrieben von der Frage: Wer seid ihr Juden wirklich? Wer seid ihr, deren Bild wir Christen zur angsteinflößenden Teufelsfratze verzerrt haben, so dass viele von uns zu Schreibtisch-, Katheder- und Kanzelmördern wurden? Wir glauben unseren sogenannten christlichen Judaisten nicht mehr. Sagt uns selbst, wer ihr seid! Mit dieser Frage war zumeist die Hoffnung verbunden, dass unser Gespräch mit den Juden uns so mit ihnen verbinden werde, dass sie nie mehr – von uns im Stich gelassen – allein dastehen werden, sollten sie wieder in Not geraten!“ (1)

Erst seit wenige Jahrzehnte ist dieser Prozess im Werden und es gibt keine Gewissheit, dass dieses Werden, je weiter wir uns zeitlich vom Holocaust entfernen, nicht doch wieder durch nachlassende Motivation verstummen könnte. Drei Beobachtungen für diese Befürchtung seien hier kurz skizziert:

1. Vielerorts geht man heute davon aus, dass die Zeit des Dialogs von Christen und Juden abgelöst sei vom Trialog der drei abrahamitischen Religionen.

Warum? Glaubt man, dass genügend Zeit verstrichen sei, die anfängliche Erschütterung über die Wirkungsgeschichte christlicher Mitschuld am Holocaust abstreifen zu können? Meine Befürchtung ist, dass diese Stimmen eine grundlegende Einsicht beflissentlich hinter sich lassen wollen: "Hier verweigert sich die Kirche ihrer Wirkungsgeschichte, wenn sie sich ihrer spezifischen Erschütterung nicht stellt. Sie hat an dieser Stelle tatsächlich mehr und Spezifischeres zu ordnen als in ihrem Verhältnis zu anderen Glaubensgruppen in der Welt. So gehören u.a. nun einmal nicht die moslemischen Glaubenselemente zu ihren Grundlagen, aber die jüdischen! Positiv und negativ haben die letzteren das Verhältnis zu den Juden und die Selbstdefinition der Christen bestimmt und letztere (unsere christliche) in eine unvergleichliche Schuldverkettung mit den ersteren (jüdischen) gebracht". (2)

2. Die Verfasser des rheinischen Synodalbeschlusses forderten radikal, "dass an die Stelle der Judenmission eine ökumenische Solidarität und ein Dialog zwischen Partnern treten müsse" (3) Eine Auseinandersetzung an den theologischen Fakultäten hat über die Frage der Judenmission wohl begonnen. Dass diese noch lange nicht abgeschlossen ist zeigt u.a. auch die Situation in unserer Württembergischen Landeskirche bei der Verabschiedung der Erklärung vom 06. April 2000. Mehrheitlich entschied die Synode: "Mission unter Juden lehnen wir ab!" (4) Der andere Teil der Synode (fast 50 Prozent) konnte der grundlegenden Ablehnung einer Mission unter Juden jedoch nicht zustimmen. Sie stellten sich hinter ein Votum der Evangelischen-Theologischen Fakultät Tübingen vom 23. Februar 2000: "...und betont(en) insbesondere Folgendes: „Die den Christen im Ostergeschehen erschlossene Wahrheit über den Heilswillen Gottes ist das Evangelium für alle Menschen, für die Juden zuerst und auch für die Heiden (Römer 1,16). Das Evangelium Juden und Heiden zu bezeugen, gehört von Anfang an zur Apostolizität der Kirche (Galater 2,7–9). Dieses Zeugnis ist unablösbar vom Christsein selbst.“ (5) Es ist schlimm: In der Frage der Judenmission ist unsere Landeskirche sozusagen auf halbem Wege stehen geblieben. Da es hier aber nichts Halbes geben kann, hat unsere Landeskirche keine eindeutige Ablehnung der Judenmission vollzogen - als einzige Landeskirche in Deutschland.

Mit ihren beiden wegweisenden "EKD-Kundgebungen“: "Martin Luther und die Juden – Notwendige Erinnerung zum Reformationsjubiläum" (2. Tagung der 12. Synode der EKD, 8. bis 11. November 2015 Bremen) und "… der Treue hält ewiglich." (Psalm 146,6) - Eine Erklärung zu Christen und Juden als Zeugen der Treue Gottes (3. Tagung der 12. Synode der EKD, Magdeburg 3. bis 9. November 2016) hat sie endlich „ihre Hausaufgaben gemacht“. Bleibt abzuwarten, ob in unserer Württembergischen Landeskirche auch noch der vollständige Schritt über den 6.April 2000 hinaus gemacht werden kann.

3. Prof. Dr. Heinz Kremers berichtet von einer Begegnung mit dem Generalsekretär des Ökumenischen Rates (ÖKR) Visser t'Hooft im Jahr 1965. Dieser bekannte (6): "Ich staune darüber, dass diese Erklärung (gemeint ist: Nostra Aetate) auf einem Konzil der römischen Weltkirche möglich wurde. Sie ist theologisch revolutionär und bewundernswert. Für eine solche oder ähnliche positive Verhältnisbestimmung der Kirche zum jüdischen Volk würde ich leider heute auf einer Vollversammlung der Ökumene keine Mehrheit bekommen!"
Daran hat sich bis heute nichts geändert! In seinen Äußerungen und Beschlüssen zeichnet sich der ÖKR, auch Weltkirchenrat genannt, dadurch aus, dass überwunden geglaubter christlicher Antisemitismus als Feindschaft gegen Israel wiederkehrt. Der "Vorwurf an die Juden als Kollektiv gipfelte darin, dass die Juden, weil sie Jesus nicht als ihren Messias anerkennen, die Erlösung und das Heil der Menschheit insgesamt, also das Kommen des Gottesreichs, aufhalten". Weiter: "Tatsächlich ist die alte religiöse Feindschaft inzwischen als Feindschaft gegen Israel wiedergekehrt. Wir reden hier nicht von Kritik an israelischer Politik, sondern von der Delegitimierung, der Dämonisierung und der Anwendung doppelter Standards im Blick auf Israel", so die evangelischen Theologie-Professoren für Neues Testament Ekkehard W. Stegemann und Wolfgang Stegemann in einem Artikel vom 13.06.2013 in der Jüdischen Allgemeinen (7).

Das christliche-jüdische Religionsgespräch seit dem Holocaust ist zweifelsfrei eine „Erhellung“ (8) für die Christenheit. Doch auch vor dem Holocaust gab es, neben dem "Doppelmonolog, in dem Christen versuchten, Juden zu missionieren ..." auch einzelne "... echte Dialoge und Versuche, einander zu verstehen" (9). Dies an ausgesuchten Beispielen aufzuzeigen ist uns im des Denkendorfer Kreis e.V. ein Anliegen. Deshalb unser Menü: Dokumenten, Erklärungen und Texten im christlich-jüdischen Gespräch (im Aufbau).

Wir werden also im Laufe der Zeit aus der ganzen fast 2000 Jahren christlich-jüdischen Wirkungsgeschichte Dokumente auflisten. Der Schwerpunkt wird letztlich dann doch auf den Dokumenten seit 1945 liegen, wir wollen mithelfen, diesen Neuanfang unserer Haltung gegenüber dem Judentum in unseren Kirchen zu festigen und weiter zu entwickeln.

Johannes Merker, 20. März 2017, dieser Artikel hier als pdf.

Literaturverzeichnis

1. Heinz Kremers/Julius H. Schoeps (Hrsg.): Das jüdisch-christliche Religionsgespräch, Studien zur Geistesgeschichte Bd. 9, 1988, S.11ff.
2. B.Klappert/H.Stark (Hg.): Umkehr und Erneuerung, 1980, aus Eberhard Bethge: "Der Holocaust als Wendepunkt", S.91ff.
3. Siehe (1), S.15.
4."
Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen“ oder „... der Treue hält ewiglich“ (RÖMER 11,29 / PSALM 146,6b). Erklärung der Württembergischen Evangelischen Landessynode zum Verhältnis von Christen und Juden vom 6. April 2000, S.5. Nachzulesen unter http://www.denkendorfer-kreis.de/images/pdf_Dateien_u_a/DokumenteTexte/2000-04-05_Gottes_Gaben_und_Berufung.pdf .
5. Siehe (4).
6. Siehe (1), S.14.
7. Jüdische Allgemeine vom 13.06.2013, „Luthers Erben“ von Ekkehard W. Stegemann und Wolfgang Stegemann; siehe auch unter dem Titel "Von Ambivalenz zur Feindschaft" in Denkendorfer Rundbrief 108 vom 12.12.2014 und Denkendorfer Rundbrief109 vom 08.05.2015.
8. Siehe (1) S.16.
9. Siehe (1) S.13 und 16.

Hinweise

1. Eine Übersicht von Dokumenten und Texten aus dem Bereich der Württembergischen Landeskirche finden Sie auch unter http://www.agwege.de/dokumente-texte/
2. Eine wahre Fundgrube für Dokumente ist http://www.jcrelations.net/Home.112.0.html?&L=2, die Webseite von Jewish-Christian Relations - Einsichten und Anliegen des christlich-jüdischen Gesprächs.